Kürzlich sah ich auf LinkedIn einen längeren Beitrag über das berühmte Bild „Fête champêtre“ („Ländliches Fest“) von Antoine Watteau. Großartig, wie viele Menschen in den Sozialen Medien wertvollen Content über Werke der Kunst- und Kulturgeschichte verbreiten! Und zwar nicht nur die „Profis“ aus den Museen und Galerien, sondern Leute, die das einfach aus Liebe zur Kunst tun. Dies trägt – stärker als Katzenvideos – dazu bei, das Internet zu einem „besseren Ort“ zu machen. Gleichzeitig wertet es die jeweilige Plattform außerordentlich auf.
Schade ist es hingegen, wenn dann im Text romantisierende Interpretationsmuster unreflektiert durchscheinen. Dann ist es nämlich eine verpasste Chance, deutlich zu machen, was Kunst bedeutet. Im konkreten Fall geht es um den Maler Antoine Watteau und seinen frühen Tod. Sehr richtig bemerkt der Autor, Thomas Stiegler, eine „Traurigkeit“ in der Darstellung der Personen, die eigentlich ein heiteres Fest feiern, und orakelt dann: „Vielleicht war es das Wissen um seinen frühen Tod, das ihn dazu zwang, diese singenden und tanzenden Liebenden in all ihrer scheinbaren Freude immer im Wissen um ihr Ende zu zeigen“. Folglich wird das gesamte Bild zum bloßen Spiegel einer persönlichen Verfassung statt zum Resonanzkörper eines gesellschaftlichen Umbruchs.
Watteau starb 1721 mit nur 36 Jahren an Tuberkulose, soweit ist die Historie klar. Aber was wäre, wenn die diagnostizierte Traurigkeit kein privates Gefühl Watteaus mehr bliebe? Wenn sie die Melancholie einer Epoche ausdrückte, die sich im Umbruch befindet, die traurig zurück blickt, und besorgt in die Zukunft? In der sich das absolutistische Gefüge der Welt allmählich auflöst, bis zum epochalen Knall von 1789? Dann müsste dieses Werk auf einmal ernst genommen werden, dann könnte es uns Hinweise geben auf unsere eigene Epoche des Umbruchs, in der viele noch galante Feste feiern im vermeintlichen Paradies des Fortschritts.
Ein sensibler Künstler – und hier sind wir beim eigentlichen Verdienst Watteaus – ist in der Lage, in diese Feste jene Melancholie zu legen, die sie als Tanz auf dem Vulkan, als Kapelle auf der Titanic, als gefährlichen Eskapismus vor dem Klimakollaps heute demaskieren. Dann kommt Kunst uns auf einmal dramatisch nah. Dann macht sie aber auch bewusst, dass Macht- und Besitzverhältnisse, Wirtschaftsformen und politische Entwicklungen nicht in Stein gemeißelt sind. Dann kann ein Bild wie Watteaus „Fête champêtre“ uns so viel mehr zeigen als die vermeintliche Todesahnung ihres Autors.
Link zum genannten Beitrag: https://www.linkedin.com/posts/thomas-stiegler_kunst-kultur-europa-activity-6841270186121674752-1fJe
Danke für den schönen Kommentar. Ich bin da ganz Ihrer Meinung, dass man das Bild in einen größeren Zusammenhang stellen sollte und es auch sehen kann als “Melancholie einer Epoche”.
Aber ist es nicht immer so, dass ein Künstler die Luft seiner Zeit atmet und nur dass auszudrücken imstande ist bzw. automatisch das ausdrückt, was unter der Oberfläche die Grundlinien seiner Epoche sind? Und gleichzeitig es mit seinem Leben, seinen Gedanken und Gefühlen anreichert?
In diesem Sinne habe ich mich auf den einen Aspekt konzentriert.
Liebe Grüße,
Thomas.