Nun ja, “Metamorphosen” – aus Marketingsicht kann man es etwa 80 Prozent der Bevölkerung wohl nicht besser sagen, dass sie nicht erwünscht sind. Wer sich dann doch vom gewaltigen Blockbuster-Label “Cézanne” in die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe angelockt fühlte, hat dennoch so viel nicht falsch gemacht. Denn die Ausstellung hat wirklich Außergewöhnliches zu sagen. Die Besucher überwältigt nicht nur eine opulente und dabei sehr stringente Bildauswahl mit vielen bedeutenden Leihgaben, sondern ein Konzept, das den Künstler wirklich einmal aus einer Perspektive präsentiert, die das aktive Sehen herausfordert. Mehr kann man von Kunst eigentlich nicht erwarten.
Cézanne als Wegbereiter der Moderne, als Vater des Kubismus, die Montagne Sainte-Victoire in zahllosen Varianten, immer stärkere Reduktion auf die geometrischen Grundformen: all dies haben andere Ausstellungen zu Genüge gezeigt. In Karlsruhe ist zu erleben, wie Cézanne die Tradition nicht umstößt, sondern die Grundlagen beharrlich verändert: “Meiner Meinung nach setzt man sich nicht an die Stelle der Vergangenheit, sondern fügt ihr ein neues Glied an”, sagt er im Alter.
Ein schönes Beispiel ist die “Versuchung des Heiligen Antonius” von 1877, ein frühes Werk, heute im Musée d’Orsay. Cézanne hat es tatsächlich für den traditionellen, unter fortschrittlich gesinnten Künstlern eigentlich verhassten Pariser Salon gemalt. Aber hier ging es nicht um Revolte, sondern um Knete: der junge Cézanne musste seinem Vater zeigen, dass er malen konnte. Das historisch abgesicherte Thema und die zahlreichen Bildanleihen zeugen davon.
Die Ausstellung lässt ihre Besucher an dem Prozess der Bildwerdung teilnehmen, den Cézanne seinen Motiven angedeihen lässt. Dabei geht Cézanne frei assoziativ vor. Es ist aufregend, zu verfolgen, wie bestimmte Teile eines gezeichneten Motivs in anderen Bildern wieder auftauchen, und das einfach aufgrund von formalen Analogien. Auf einmal kann man die Kunst mit Cézannes eigenen Augen wahrnehmen, man lernt von Saal zu Saal mehr, wie der Künstler “tickt”. Das wird sehr deutlich bei den Rückgriffen auf die Meister der Vergangenheit, die Cézanne intensiv studiert hat. Immer wieder wird deutlich, dass er sich nicht als der Revolutionär sah, zu dem ihn die Moderne gemacht hat, sondern als jemand, der ganz einfach die Welt in sich verändernden Strukturen sah, und zwar von Anfang an. Ist das weniger modern?
Diese einmal gefundene Besonderheit des Künstlers Cézanne wird nun in der Ausstellung sauber und immer wieder erhellend durchdekliniert. Seine Porträts – eigentlich Stillleben. Objekte werden ihrer Materialität entkleidet, das Momenthafte zu festen Strukturen verarbeitet. Dies schafft eine Mehrdeutigkeit, welche die ursprünglichen Objekte und Motive noch erkennen lässt, aber der gemalten Oberfläche in gewissen Maße zur Autonomie verhilft. Sie ist wie ein Filter davor gesetzt und doch ganz Teil der gemalten Szenerie. Es ist dieser Prozess im Betrachter, der die Faszination von Cézannes Kunst ausmacht, und es ist ein hohes Verdienst der Ausstellung, dies so brillant vorgeführt zu haben.
Übrigens ist der die Ausstellung begleitende Audioguide ein echter Freund, der hervorragend führt, und die von einem Karlsruher Gymnasium entwickelte, für Kinder und Jugendliche bestimmte Ergänzung eine auch für Erwachsene erfrischende Ergänzung. Cézanne chattet in einer Whats-App-Gruppe – das muss man mal gehört haben.
Ja, natürlich sind das “Metamorphosen”, aber Cézanne hätte das wohl nicht so hochgestochen formuliert.
Cézanne – Metamorphosen. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Str. 2-6, 76133 Karlsruhe, 28.10.2017-11.2.2018.
Beitrag zuerst erschienen auf www.kulturzuender.de im Februar 2018.