Arabische zeitgenössische Kunst ist mehr als ein interessanter und bislang wenig bekannter Aspekt der Kulturszene. Angesichts der von Krieg, Flüchtlings”krisen” und islamistischem Terror geprägten öffentlichen Wahrnehmung ist es eine enorm wichtige Aufgabe, die historischen wie die aktuellen Errungenschaften der arabischen Welt in das Bewusstsein der Europäer zurück zu holen. Und nach vielen Jahrzehnten des eher selbstgenügsamen Reichtums mehrt sich der Eindruck, dass die arabischen, vor allem die Golfstaaten stärker als je zuvor daran interessiert sind, den kulturellen Dialog mit dem Westen mit eigenen Akzenten zu versehen. Nicht nur dem Louvre Abu Dhabi mit seiner durchaus umstrittenen Weltkunst-Konzeption, auch vielen anderen großen Kulturprojekten in Arabien tut man Unrecht, wenn man sie als neokolonialistischen Überwurf ansieht. Ich habe den Eindruck, es herrscht ein echtes Interesse am selbstbewussten Austausch. Und auch hierzulande wächst neben der Angst vor dem Fremden auch der Wunsch, diese fremde Welt besser kennenzulernen.
Nun ist eine von den staatlichen Qatar Museums organisierte Leistungsschau dort heimischer Künstler*innen in der deutschen Hauptstadt bestimmt kein ideologiefreies Unterfangen, und natürlich handelt es sich bei dem kleinen, aber reichen Golf-Emirat auch um keine Demokratie. Es stellt sich also sehr wohl die Frage, nach welchen Kriterien die katarischen Kurator*innen die gezeigten Werke ausgewählt haben. Mein Eindruck war, dass versucht wurde, wenigstens in Teilen der Ausstellung kritisches Potential auszuloten.
Zunächst hält der erste Teil der Ausstellung im Erdgeschoss der gigantischen Kraftwerkshalle noch eine etwas krude Mischung aus Tourismuswerbung, ethographischen Erkundungen und etwas braver Foto- und Videokunst bereit. Dann verbreiten die kühlen, aber eindringlichen Porträts katarischer Sportlerinnen von Brigitte Lacombe leider auch etwas Leni-Riefenstahl-Aroma. Im oberen Teil kommen wir dann zum Kern der Präsentation, der uns gleich, vielleicht etwas plakativ, mit einem geköpften Kamel und lebensgroße Büsten empfängt, die an alemannische Fastnachtsmasken erinnern.
Es ist ein buntes Kaleidoskop an künstlerischen Positionen zu sehen, von denen sich die meisten doch in der einen oder anderen Weise mit der reichen Tradition der arabischen Kunst auseinandersetzen. Besonders hervorheben möchte ich die aus weißem Kunstharz gefertigte Skulptur “Hmmm…” von Hana Al-Saadi. Sie wird auf einem schwarzen, distanzierenden Sockel präsentiert, der die lebensgroße, naturalistische Plastik marmorgleich veredelt. Zu sehen ist eine sitzende, mit Niqab verschleierte Frau, die zusätzlich noch ein Ballett-Tutu und Tanzschuhe trägt, eine groteske Kombination, die von der Künstlerin selbst schon einmal im Rahmen einer Performance getragen worden war. Wird Kritik zuerst an der Religion geübt, dann an den Verhältnissen? Auf jeden Fall springt der Gegensatz zwischen arabischer und westlicher Kultur in die Augen, es ist eine Frage der Sichtweise, ob dies auch kritisches Potenzial entfalten darf. Beide zwingen in ein Korsett. Auf jeden Fall gelingt es der Künstlerin, ein Bild zu schaffen, das mir lange nicht mehr aus dem Gedächtnis gehen wird.
Etwas weiter wird ein Video gezeigt, in dem ein Mann sich aus traditionellen syrischen Teekannen Farbe über den Kopf und seine blütenweiße Dishdasha schüttet. Auch aus dieser Performance des Qatari Ahmed Al-Jufairi spricht der Konflikt zwischen traditioneller Kultur und (westlicher) Kunst.
In vielen der ausgestellten Kunstwerken spürt man das Bemühen, den westlichen Kunstmarkt zu bedienen, aber mit zum Teil sehr eigenen Ideen. Häufig kommt eine spezifisch arabische, aus dem Ornamentalen entwickelte Formensprache zum Einsatz, aber es werden auch, im konkreten Fall vielleicht noch etwas bemüht, auch modernste Medien eingesetzt. Wenn unter Verwendung von Augmented-Reality-Programmen mit der Kamera eines Tablet-Computers Worte in arabischer Schrift eingescannt werden, und dann die traditionelle Entsprechung eines modernen Alltagsobjekts auf dem Bildschirm erscheint, ist das eine nette Spielerei, aber gewiss noch nicht das Ergebnis eines anspruchsvolleren künstlerischen Prozesses.
Es ist zu hoffen, dass diese Ausstellung nur eine von vielen sein wird, die uns besser mit der zeitgenössischen arabischen Kunst vertraut macht. Natürlich ist auch dies nur eine Auswahl der Künstler*innen, die vom Förderprogramm der Qatar Museums unterstützt wurden, aber ich denke, dass mein Eindruck nicht täuscht, dass die Kunst hier schon ein erhebliches freiheitliches und aufklärerisches Potential entfalten durfte.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.kulturzuender.de am 12.3.2018.
Contemporary Art Qatar 9.12.2017 – 3.1.2018 im Kraftwerk Berlin, Köpenicker Straße 70, 10179 Berlin