Gut – wahr – schön: Kunst der Pariser Salons in der Hypo-Kunsthalle in München

Das ist die Kunst, vor der uns unsere Lehrer immer gewarnt haben. Der Diskurs der Moderne ist, zumindest was die französische Kunst angeht, geprägt von der Verachtung der “konservativen”, öffentlich geförderten Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Grandioser Kitsch, hohles Pathos, im besten Falle inhaltsleere Virtuosität. Sie diente als gruselige Folie, vor der die Avantgarde-Heroen wie Courbet, Manet, die Barbizonmaler bis hin zu Monet und Seurat ihren Glanz entfalten konnten.

Für die deutsche Kunst setzte die vorsichtige Revision immerhin schon ein, und zwar mit einem handfesten Skandal. Der geniale Werner Hofmann, Direktor der Hamburger Kunsthalle, löste ihn Anfang der 1980er-Jahre aus, als er Makarts lange im Magazin vergessenen “Einzug Karls V. in Antwerpen” erst für sehr viel Geld restaurieren und dann in seiner ganzen Monumentalität ausstellen ließ.

Nun geht es in einer bemerkenswerten Ausstellung in München um die französische Kunst dieser Zeit – noch unbekannter sind die Maler, noch schlechter ist ihr Ruf. Der Direktor der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Roger Diederen, kämpft mit Leihgaben aus dem Musée d’Orsay für ihre Rehabilitation. Als Spezialist für europäische Malerei des 19. Jahrhunderts ist es sein erklärtes Ziel, den Besucher.innen für diese Kunst die Augen zu öffnen. So jedenfalls klingt es gleich im höchstpersönlich gesprochenen Begrüßungstext des sehr empfehlenswerten Audioguides:

“Lassen Sie sich nun gerne von der fantastischen Qualität berauschen.”

Toll, endlich mal eine Ausstellung, die einen bekiffen statt belehren will. Aber wird das Versprechen, dass es sich da um “Meisterwerke der Pariser Salons” handele, wirklich eingehalten? Oder ist das alles nicht mit klarem Sinn zu ertragen? Starten wir also den Selbstversuch.

Wir erfahren zunächst die Grundlagen: Die jährliche Ausstellung des “Salon de Paris” war das viel beachtete Kunstereignis im nachrevolutionären Paris. Eine gestrenge Jury sorgte dafür, dass nur die Künstler Zugang hatten, die für das Gute und Wahre auch die gewünschte Form gefunden hatten. Der Historienmalerei gebührte der absoluten Vorrang, da hier vorbildhaftes antikes Heldentums und passende dramatische Ausgestaltung Hand in Hand gingen.

Wie das dann auch in allen Varianten fleißig geübt wurde, lässt sich an einer eindrucksvollen Wand mit eingereichten Skizzen für das begehrte Rom-Stipendium der École des Beaux Arts studieren. Wer von den jungen Künstlern das errungen hatte, schickte seine in der Villa Medici entstandenen Werke geflissentlich nach Paris zur Begutachtung. So legte Stipendiat Joseph Blanc seinen “Perseus” (1869) vor und wurde dann im Folgejahr auch mit der Ausstellung im “Salon” belohnt.

Joseph Blanc, Perseus, 1869, Musée d’Orsay (Bild: sailko unter Wikimedia Commons CC BY 3.0)

Das ist heute ein lächerliches Spektakel, weil nichts an diesem Bild irgendwie glaubhaft wirkt. Kein noch so toller Held könnte sich so auf einem Pferd halten, alles ist Pose und präpotente Künstlichkeit. Auch wenn es hier um moralische und weniger um realistische Kategorien geht, das Bild bleibt ein glatter Fehlschlag. Blanc hat sich ausführlich bei Michelangelo, Poussin und so allem möglichen bedient, aber diese wilde Mixtur bleibt fade. An diesem aufgeblasenen, gepanschten Fusel konnte ich mich jedenfalls nicht berauschen, Herr Diederen.

Im nächsten Raum liegt dann eine marmorne Figur von unendlicher Zärtlichkeit wie hingegossen auf dem Boden. Dahinter ein Bild mit dem gleichen Thema – der erschlagene Abel: eine wunderbare Blickverbindung. Das Gemälde von Camille-Félix Belanger (1874/75) wirkt dramatischer durch die düstere, harte Beleuchtung, die karge Landschaft und die hinter den Kopf geworfenen Arme des Gemeuchelten, während die Skulptur von Vincent Feugère des Forts, 10 Jahre früher entstanden, in seinem ergreifenden, androgynen Schmelz keine Gedanken an die vorausgegangene Gewalttat aufkommen lässt. Beides sind in ihrer Unterschiedlichkeit, die jeweils an die Schmerzgrenze geht, starke Positionen, mit Können und Gefühl für subtile Farbschattierungen und Strukturen umgesetzt.

Camille-Félix Bellanger, Abel, 1874/75, Musée d’Orsay (Bild: Rama/Creative Commons unter CC BY-SA 2.0 fr und CeCILL)

Das große Verdienst der Ausstellung ist es, die Kunst der “Salons” vor dem Hintergrund sowohl der Kulturgeschichte als auch der politischen Ereignisse in Frankreich zu zeigen. Einerseits wird so deutlich, welchen Einfluss die Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum auf die Entwicklung eines Neo-Grec-Stils hatten, andererseits wird aber auch auf den griechischen Freiheitskampf gegen die Osmanen von 1822-32 hingewiesen, der die Antike zum Sehnsuchtsort allerlei fortschrittlich gesinnter Romantiker machte. Kostbares Kunsthandwerk im “pompejanischen Stil” lässt dies erahnen, aber die schwärmerische Griechenverehrung hatte innerhalb der Institutionen vielleicht eine noch stärkere politische Sprengkraft als die Stadtflucht der Maler von Barbizon.

Die traumatische Niederlage Frankreichs im 1870/71er-Krieg findet auch in den Bildthemen von Opferbereitschaft und Reue ihren Niederschlag, ebenso kunstpolitisch in der Verlagerung der staatlichen Förderung auf repräsentative Gebäude wie den Panthéon, das von Malern wie Puvis de Chavannes ausgemalt wird. Das “Gute, Schöne, Wahre” ertüchtigt nun nicht mehr den moralischen Allgemeinzustand, sondern dient ganz konkret der Staatsneubildung und Selbstfindung.

Gleichzeitig werden aber auch Konflikte deutlich: Die staatliche Ankaufspraxis großformatiger Historienbilder wird zunehmend vom bürgerlichen Geschmack in Frage gestellt. Ab 1880 wird der “Salon” dann folgerichtig nicht mehr staatlich organisiert, sondern durch die Künstlerschaft. Die in der Ausstellung aufgestellte These, dass das “Anything goes” der “Salon”-Malerei tatsächlich als Beleg ihrer Modernität ins Feld geführt werden kann, halte ich allerdings für fragwürdig.

Allerdings liefert die Ausstellung atemberaubende Gegensätze gerade für die spätere Zeit: Da ist der geradezu filmisch aufgefasste “Angriff” von André Devambez aus dem Jahr 1902 – eine nächtliche Straßenszene, nein, eine Straßenschlacht, der Zuschauer blickt aus schwindelnder Höhe diagonal in eine belebte Pariser Straße. Den Mittelpunkt bildet die gespenstische Leere rund um das fahle Licht einer Straßenlaterne, in deren Umkreis ein Polizeikordon gegen eine dunkle Menschenmenge vorgeht. Man erkennt Kämpfende, Fliehende, Verletzte auf der Straße. Als Kontrast säumen die Straße Kioske mit heller Reklame, wartende Kutschen, unbekümmerte Passanten. Eine packende Reportage, anders sah das in Hamburg beim Wirtschaftsgipfel auch nicht aus.

André Devambez, La Charge, 1902, Musée d’Orsay (Bild: FramaKa unter Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37670043

Nur acht Jahre zuvor hing, ebenfalls in der Salon-Ausstellung, “Parsifal, der Blumenritter” von Georges-Antoine Rochegrosse, der als Musterbeispiel für “kitschigen Akademismus” galt. Klar, ein lockiger Jüngling in glänzender Rüstung inmitten eines Blumenfeldes, umspielt von anmutigen nackten Mädchen, das ist wirklich die künstlerische Hölle.

Georges Rochegrosse, Le chevalier aux fleurs, 1894, Musée d’Orsay (Bild: Paola Severi Michelangeli unter Wikimedia Commons Public Domain)

Doch halt – sehe ich jetzt die französische Salonmalerei schon dermaßen durch die Brille der Ausstellungsmacher, dass ich hier die flirrenden Farben des Impressionismus, ja gar ein Mohnfeld von Monet, und also die Avantgarde im scheinbar Akademischen zu erkennen meine?

Herr Diederen, ich kapituliere erschöpft, berauscht, bekifft. Ich weiß, das Erwachen wird furchtbar.

GUT. WAHR. SCHÖN. Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d’Orsay, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr.8, 80333 München. Noch bis 28. Januar 2018

Beitrag zuerst erschienen am 21.11.2017 auf www.kulturzuender.de

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